Dieter Koch
Der Stern von Bethlehem
ISBN: 978-3-931806-08-8, 157 Seiten
© 1998-2007 Dieter Koch, Zürich
Der
Bericht vom Weihnachtsstern
Der Bericht vom Weihnachtsstern befindet
sich im Matthäusevangelium, Kapitel 2 (Übersetzung des Verfassers):
1.
Als Jesus aber geboren war in Bethlehem in Judäa in den
Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Magier aus dem Osten in Jerusalem an
und sagten:
2.
"Wo ist der geborene König der Juden? Wir haben
nämlich seinen Stern im Aufgang erblickt, und wir sind gekommen, um uns vor ihm
niederzuwerfen."
3.
Als aber der König Herodes es hörte, wurde
er beunruhigt, und ganz Jerusalem mit ihm.
4.
Und er versammelte alle Oberpriester und Schreiber des
Volkes und erkundigte sich bei ihnen, wo der Christus geboren würde.
5.
Sie aber sagten ihm: "in Bethlehem in Judäa, so
nämlich ist es geschrieben durch den Propheten:
6.
'und du, Bethlehem, Land Juda,
bist keineswegs die geringste unter den Führern von Juda,
denn aus dir wird ein Führer hervorgehen, der mein Volk Israel weiden wird.'
7.
Darauf rief Herodes heimlich die Magier und erfragte von
ihnen genau die Zeit, wann der Stern erschienen war.
8.
Und er sandte sie nach Bethlehem und sagte: "Geht und
erkundigt euch genau über das Kind. Und wenn ihr es findet, benachrichtigt
mich, so daß auch ich komme und mich vor ihm niederwerfe."
9.
Als sie den König gehört hatten, brachen sie auf. Und
siehe, der Stern, den sie im Aufgang gesehen hatten, ging ihnen voraus, bis er
zum Stillstand kam oberhalb (des Ortes), wo das Kindlein war.
10.
Als sie aber den Stern sahen, freuten sie sich eine sehr
große Freude.
11.
Und als sie in das Haus gekommen waren, sahen sie das Kind
mit Maria, seiner Mutter und fielen und warfen sich vor ihm nieder. Und sie
öffneten ihre Schätze und brachten ihre Gaben dar, Gold und Weihrauch und
Myrrhe.
12.
Und als sie im Traum eine Anweisung erhielten, nicht zu
Herodes zurückzukehren, gingen sie auf einem anderen Weg in ihr Land zurück.
13.
Als sie aber davongezogen waren, siehe, da erscheint dem
Joseph ein Engel des Herrn im Traum und spricht: "Stehe auf, nimm das
Kindlein und seine Mutter und fliehe nach Ägypten, und sei daselbst, bis ich es
dir sage; denn Herodes wird das Kindlein suchen, um es umzubringen.
14.
Er aber stand auf, nahm das Kindlein und seine Mutter des
Nachts und zog davon nach Ägypten.
15.
Und er war dort bis zum Tode Herodes', auf daß erfüllt
würde, was von dem Herrn geredet ist durch den Propheten, welcher spricht: 'Aus
Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen'.
16.
Da ergrimmte Herodes sehr, als er sah, daß er von den
Magiern hintergangen worden war; und er sandte hin und ließ alle Knaben töten,
die in Bethlehem und in allen seinen Grenzen waren und die zweijährig und
darunter waren zu dem Zeitpunkt, den er von den Magiern genau erforscht hatte.
Die historische Zuverlässigkeit dieses
Textes wird von den Gelehrten bekanntlich in Zweifel gezogen. Und diejenigen, die
wenigstens noch an einen Kern von Wahrheit in ihm glauben und nach einer
astronomischen Erklärung des Sterns von Bethlehem suchen, entwickeln Theorien
von sehr verschiedener und ausnahmslos auch sehr spekulativer Art. Praktisch
alles scheint möglich: Planetenkonjunktionen, Planetenbedeckungen durch den
Mond, Kometen, variable Sterne, Novae, Meteoriten,
sogar Kugelblitze.
Trotz dieser Verwirrung glaube ich, daß
das Rätsel sich eindeutig lösen läßt. Selbst wenn wir die Erzählung von den
drei heiligen Königen für einen Mythos halten, meine ich doch zeigen zu können,
daß dieser Mythos ein eindeutig identifizierbares astronomisches Phänomen
beschreibt. Die allgemeine Verwirrung rührt nur von daher, daß alle Autoren von
einer bestimmten unreflektierten und unkorrekten Voraussetzung ausgehen, welche
die naheliegendste Erklärung von vorn herein
ausschließt und für sie blind macht. In der Folge schenken sie den
Detailangaben des Texts nicht mehr die gebührende Aufmerksamkeit und geraten
auf alle möglichen Irrwege. Diese falsche Voraussetzung besteht in der Annahme,
daß der Stern eine ganz außergewöhnliche Erscheinung gewesen sein müßte,
um die "Magier" oder "Weisen" zu veranlassen, den weiten
Weg von Mesopotamien nach Jerusalem auf sich zu nehmen. Daß diese Annahme
falsch ist, beweist einerseits der Text selbst. Herodes müßte die Magier nicht
nach der "Zeit des Sterns" Fragen, wäre das Phänomen auffällig und
als solches für jedermann ersichtlich gewesen. Die Annahme erweist sich aber
insbesondere auch als falsch, sobald man sich nähere Gedanken macht über die
Praktiken der "Magier" und ihre Arbeitsweise studiert.
"da kamen Magier": Der Bethlehemstern
wird traditionell entweder als Wundererscheinung oder als astronomisches
Phänomen gedeutet. Im einen Fall waren die "Magier aus dem
Morgenland" weise Männer, die von Gott erleuchtet wurden, im letzteren
waren es mesopotamische Astrologen (die natürlich ebenfalls von Gott - von Ahuramazda, dem "weisen Herrn" - erleuchtete
weise Männer sein konnten). Das griechische Wort persischen Ursprungs magos (altpersisch magush)
läßt nun, zumal wenn sie von Osten kommen und wenn im Umfeld von Sternen die
Rede ist, ohne Zweifel auf mesopotamische Astrologen schließen. Streng genommen
müßte man zwar unterscheiden zwischen "Magiern" (magoi)
und "Chaldäern" (chaldaioi). Die
Magier waren die Priester des Zoroastrismus, bekannt für ihre Fähigkeit, Träume
zu deuten. Die eigentlichen Sterndeuter hingegen waren Chaldäer, die Träger der
älteren Kultur der Babylonier. Magier und Chaldäer wurden jedoch im Abendland
gern verwechselt, so daß trotz dieser begrifflichen Unschärfe am Beruf dieser
Männer kein Zweifel bestehen kann. Zudem machten die Magier sich das Wissen der
Chaldäer zu eigen und integrierten es in ihre eigenen Praktiken. Das Zweistromland
galt im übrigen als Ursprungsland der Astrologie und war berühmt für seine
hervorragenden Sterndeuter. Das Verhalten der Magier gleicht auch demjenigen
vieler heutiger Astrologen: Aus Himmelserscheinungen wird auf mundane Ereignisse geschlossen. Im übrigen ist bekannt, daß
insbesondere die Ersterscheinung eines Sterns oder Planeten am östlichen
Morgenhimmel bei den chaldäischen Sternkundlern große Beachtung fand. Auch wenn
im weiteren Verlauf des Textes vom "Stillstand" des Gestirns die Rede
ist, deutet dies auf ein Phänomen, das damalige wie heutige Astrologen
gleichermaßen für wichtig halten: auf die Station eines Planeten. Es wäre also
naiv zu glauben, es sei von einer Wundererscheinung die Rede.
Der Grundirrtum aller bisherigen
Erklärungsansätze für den Stern von Bethlehem besteht nun in der Annahme, die
Magier wären allein auf Grund einer Sternerscheinung aufgebrochen. Matthäus
selbst zeigt, daß die Magier mehrere Weissagungmethoden
miteinander kombinieren. Neben der Astrologie erwähnt Matthäus auch, daß die
Magier durch Träume vor Herodes gewarnt wurden. Und tatsächlich war die
Traumdeutung eine der zentralen Wissenschaften, mit der sich die Magier
befaßten. Weiter erfahren wir aus dem Text, daß die Magier auf ihrer Suche
Schriftgelehrte zu Rate ziehen und sie nach alten Prophezeiungen fragen.
Dabei ist auch zu bedenken, daß in alten zoroastrischen Texten das Kommen eines
Heilsbringers, des sogenannten Saoshyant, prophezeit
wird. Der Stern ist somit nicht der einzige Anlaß für die Reise der Magier. Prophezeiungen
und Träume spielen mit eine Rolle. An dieser Stelle
hilft es nun, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß ähnlich wie die Magier auch
heute noch tibetische Mönche sich gelegentlich auf den Weg machen, um nach
"heiligen Kindern", genauer nach Reinkarnationen ihrer spirituellen
Führer, zu suchen. Auch bei ihnen sind es stets eine Vielzahl
von Indizien und Methoden, durch die sie sich auf ihrer Suche leiten
lassen. So wurde etwa einer der höchsten tibetischen Würdenträger, der Karmapa, gefunden aufgrund einer Prophezeiung, die
Hinweise auf Ort und Zeit und Familie der Wiedergeburt enthielt. Nach einem
ähnlichen Schema könnten die Magier vorgegangen sein. Vielleicht folgten sie
einer Prophezeiung oder einem Traum, demzufolge ihr Heilsbringer beim nächsten
Erscheinen des Morgensterns im Land der Juden geboren werden würde.
Diese Hypothese, die vollkommen plausibel
und mit den Praktiken der Magier kompatibel ist, kann nun auf völlig andere
Lösungen führen als alle bisherigen Ansätze. Wir können das Vorurteil aufgeben,
daß unbedingt ein ganz außergewöhnlicher Stern erschienen sein muß. Selbst eine
Ersterscheinung des Morgensterns wäre eine nützliche Zeitangabe und darüber
hinaus sogar signifikantes astrologisches Datum, wenn auch nicht gerade in dem
Ausmaß, wie sich die bisherigen Theorien das wünschen.
"In den Tagen des Herodes": Jesus
müßte demnach vor dem Tode Herodes' geboren sein. Nach gängiger Lehrmeinung ist
Herodes im Jahre 4 v. u. Z. gestorben. Manche Historiker plädieren dafür
Herodes' Tod auf 1 v.Chr. zu datieren. Eine endgültige Lösung dieses Problems
ist nicht möglich, zumal schon die übrigen historischen Zeitangaben der Bibel
im Zusammenhang mit Jesu Geburt widersprüchlich scheinen. Angesichts der
Komplexität kann ich auf diese Problematik nicht näher eingehen. So oder so
scheint unsere Zeitrechnung, die vorgibt, mit der Geburt Christi zu beginnen,
nicht präzis zu sein. Jesus ist vermutlich nicht zu Beginn des Jahres 1 u. Z.
geboren. Übrigens auch nicht an einem 25. Dezember. Dieses Weihnachtsdatum hat
erst die Kirche im 4. Jh. eingeführt, zu dem Zweck, ein am gleichen Tag
stattfindendes heidnisches Sonnenwendfest zu verdrängen.
"seinen Stern im Osten (wtl. im Aufgang) gesehen": Häufig liest man in Übersetzungen:
"im Morgenland gesehen". En tê anatolê heißt jedoch wörtlich "im Aufgang, im
Osten". Das Wort anatolê bezeichnet
nicht eigentlich ein Land, sondern eine Richtung. Auch wenn die Magier apò anatolôn
kommen, so heißt dies wörtlich: "aus (der Richtung) der Aufgänge" -
also aus dem Osten. Es ist also nicht gesagt, daß die Magier im
"Morgenland" waren, als sie den Stern sahen. Viel naheliegender ist
die Interpretation, daß sie ihn "im Osten aufgehen sahen".
Bei solcher Übersetzung gibt der Text auch
astronomisch mehr her. Besondere Aufmerksamkeit galt bei den sternkundigen
Priestern Mesopotamiens der morgendlichen (heliakischen) Ersterscheinung
eines Gestirns nach einer Periode, in der es unsichtbar war. Ausdrücklich
spricht Matthäus weiter unten von einem "Erscheinen" (phaínesthai) des Sternes. Im Laufe eines Jahres
verschwinden die meisten Himmelskörper einmal am westlichen Abendhimmel und
tauchen einige Wochen später am östlichen Morgenhimmel wieder auf. In der
Zwischenzeit werden sie von der Sonne überholt und von ihrem Licht überstrahlt,
so daß man sie nicht beobachten kann. Der Übergang aus der Unsichtbarkeit in
die Sichtbarkeit am östlichen Morgenhimmel wurde als Analogie zum
Geburtsvorgang begriffen. Die Ersterscheinung eines Gestirns brachte aus der
Sicht der alten Astrologie etwas Neues in die Welt.
"erfragte genau die Zeit": Herodes fragt nach der genauen
Erscheinungszeit des Sternes. Dies offenbar, um das Alter des Kindes zu
erfahren, das er ja töten will. Später sagt Matthäus nämlich, daß Herodes alle
Kinder tötete, die in Bethlehem und Umgebung lebten und zwei Jahre oder jünger
waren, "zu der Zeit, die er von den Magiern genau in Erfahrung gebracht
hatte" (Mt. 2,16).
Aufgrund dieser Angabe wurde auch schon
vermutet, daß zwischen dem Erscheinen des Sterns und der Ankunft der Magier
zwei Jahre liegen mußten. Doch gibt es gewichtige Gründe dagegen. Eingangs
stellt Matthäus fest, daß die Magier zur Zeit der Geburt Jesu in
Jerusalem ankamen. Noch klarer sagt es Justinus Martyr:
"Zugleich (háma) mit seiner Geburt kamen
Magier von Arabien und huldigten ihm". Weiter ist zu bedenken, daß Jesus
während einer Reise in einer vorübergehenden Notunterkunft geboren wurde
und daß er noch am selben Ort von den Magiern besucht wurde. Kurz danach floh
die heilige Familie nach Ägypten. Die Magier kamen also eindeutig in den Tagen
der Geburt nach Jerusalem. Sollten wir also annehmen, daß der Stern zwei Jahre
vor der Geburt Jesu erschienen war? Manche Autoren weisen darauf hin, daß
zufolge einer jüdischen Überlieferung der Messias zwei Jahre nach dem Erscheinen
eines Sternes erwartet wurde. Doch aus der Sicht der Astrologie ist solch ein
langer Zeitraum zwischen einer Himmelskonstellation und einem von ihr
"ausgelösten" Ereignis sehr unwahrscheinlich. Die Astrologie versteht
und verstand sich auch damals sich ja als eine Wissenschaft von zeitlichen Koinzidenzen zwischen dem, was oben, und dem, was
unten ist. Zudem hätte der Stern in der Folge entweder zwei Jahre lang sichtbar
bleiben oder aber eher noch ein- bis zweimal im Osten wiedererscheinen müssen.
Denn er mußte die Magier ja noch von Jerusalem nach Bethlehem
"führen". Aber weder in den frühchristlichen Texten noch in der
erwähnten jüdischen Quelle finden sich Hinweise auf eine Mehrfacherscheinung.
Es gibt im Gegenteil sogar deutliche textliche Hinweise darauf, daß Jesus zur
gleichen Zeit geboren wurde, als auch der Stern erschien. Beim bereits
zitierten Justinus Martyr ist zu lesen: "die
Magier sagten, sie hätten daraus, daß ein Stern am Himmel erschien, erkannt,
daß in eurem Land ein König geboren worden ist".
Ich denke, Vers Mt. 1,26 ist eigentlich
klar: Herodes ließ alle Kinder töten, die "zu dem Zeitpunkt, den er
von den Magiern genau in Erfahrung gebracht hatte", zwei Jahre alt oder
"darunter" waren. Die zwei Jahre wären dabei eine bloße Sicherheitslimite gewesen.
Aus der Gleichzeitigkeit von Geburt und
Sternerscheinung und der Gleichzeitigkeit von Geburt und Ankunft der Magier
folgt auch die ungefähre Gleichzeitigkeit der Sternerscheinung mit der Ankunft
der Magier. Dieser Schlußfolgerung steht nun das landläufige Vorurteil
entgegen, die Magier hätten den Stern in ihrer Heimat ("im
Morgenland") entdeckt und seien erst daraufhin nach Palästina
aufgebrochen. Diese Ansicht beruht also auf einer ungenauen Lektüre. Wir müssen
vielmehr den Schluß ziehen, daß die Magier die Sternerscheinung und damit die
Geburt Jesu vorherberechnen konnten und ihre Reise so planten, daß sie
präzise bei der Geburt in Palästina eintrafen. Daraus aber folgt, daß es sich
bei dem Stern weder um einen Kometen noch um eine Nova handeln konnte, weil
solche Phänomene nicht vorausberechnet werden konnten. Statt dessen muß vom
Auftauchen eines Planeten (allenfalls auch eines Fixsterns) am
Osthorizont die Rede sein. In der Tat waren die persischen Sternkundigen in der
Lage, gewisse planetare Konstellationen weit voraus zu berechnen. Manche davon
folgen ja strengen Zyklen. Die Rechenmethoden der alten Mesopotamier sind heute
bekannt. Es wurden sogar Keilschrifttafeln mit planetaren Ereignissen für das
Jahr 7 v. u. Z. ausgegraben. Die Magier konnten also schon lange vor dem
Erscheinen des Sternes aufbrechen, um das Kind dann möglichst schon kurz nach
der Geburt zu finden.
Aus der Frage des Herodes läßt sich weiter
der Schluß ziehen, daß der Stern nicht unbedingt eine auffällige
Himmelserscheinung war. Offenbar war sie nur von den Magiern beachtet worden -
aus professionellen Gründen. Die Vorstellung, der Stern müsse ein
aufsehenerregendes Ereignis gewesen sein, läßt sich mit Matthäus ganz
offensichtlich nicht belegen. Sie geht vielmehr auf das apokryphe
Jakobusevangelium zurück, wo es heißt: "Wir sahen einen gewaltigen Stern,
der leuchtete unter den anderen Gestirnen und ließ ihr Licht verblassen".
Da wäre es doch merkwürdig, daß es bei Herodes überhaupt noch einer Aufklärung
bedurfte! Der Stern hätte in aller Munde sein müssen, wäre er wirklich ein so
außergewöhnliches Phänomen gewesen. Dennoch könnte in der Beschreibung des Jakobus ein Kern Wahrheit liegen. Es gibt ja auch unter den
alltäglichen - oder allnächtlichen - Himmelskörpern sehr helle und schöne
Exemplare, z.B. die beiden Planeten Venus oder Jupiter.
"der Stern, den sie im Osten
erblickt hatten, ging ihnen voraus": Das Geführtwerden
durch den Stern kann nun, wenn es sich nicht um eine Wundererscheinung handelt,
nicht ganz wörtlich gemeint sein. Ein astronomisches Phänomen macht keine
zufälligen Bewegungen, es erscheint für alle Bewohner derselben geographischen
Gegend in derselben Himmelsrichtung. Manche Autoren haben die Stelle so
verstanden, daß die Magier den Stern, während sie von Jerusalem nach Bethlehem
wanderten, direkt vor sich sahen. Der Weg verläuft in Nord-Süd-Richtung. Der
Stern hätte also im Süden gestanden. Das ist aber unwahrscheinlich. Sofern die
Magier wirklich zur Zeit der Geburt und zur Zeit des heliakischen Aufgangs oder
einige Tage danach in Jerusalem und Bethlehem ankamen, war es heller
Vormittag, bis der Stern im Süden stand. Er konnte also nur im Osten, am
Morgen vor Sonnenaufgang, beobachtet werden.
Das griechische Wort proágein,
das mit "vorausgehen" übersetzt wird, könnte jedoch in astronomischem
Kontext eine ganz spezielle und für unsere Interpretation hochinteressante
Bedeutung haben. Bei Ptolemäus und anderen antiken Astronomen wird nämlich das
Wort prohegeisthai, das gleichbedeutend ist
mit neutestamentlich proagein, für die Rückläufigkeit
von Planeten verwendet. Dies mag auf den ersten Blick erstaunen. Wieso sollte
der Ausdruck "Vorausgehen" für "Rückläufigkeit" verwendet
werden? Dies liegt daran, daß rückläufige Planeten die Sterne im Vollzug der
Tagesbewegung die Fixsterne und direktläufigen Planeten überholen. Die
Aussage des Matthäus, daß der Stern den Magiern "vorausging", wäre
also so zu interpretieren, daß der Stern sich in einer Rückläufigkeitsphase
befand. Der Stern war also immer noch nur Morgens im
Osten sichtbar, und die Magier wären früh morgens aufgebrochen, und während sie
nach Süden zogen, stand der rückläufige Planet links von ihnen. Der Weg
nach Bethlehem ist so kurz, daß sie den Ort noch vor Tagesanbruch erreichen
konnten.
"kam zum Stillstand": Der "Stillstand" des
Sternes kann bei einem astronomischen Phänomen ebenfalls nicht ganz
wörtlich gemeint sein. Alle Himmelskörper bewegen sich im Tageslauf
unaufhörlich von Ost nach West. Für die Astrologie bedeutsam sind aber die Stationen
der Planeten, d.h. ihr Stillstand in Bezug auf den Tierkreis (bzw. den
Fixsternhimmel). Die Magier hätten das Kind demzufolge an dem Tage gefunden,
als der Planet seine rückläufige Phase beendete, stationär wurde und
seine siderische Bewegungsrichtung änderte.
"oberhalb (des Ortes), wo das
Kindlein war": Auch hier ist festzustellen, daß kein Stern je über
einem bestimmten Haus oder einer bestimmten Person stehen kann.
Befindet er sich z.B. im Zenit, dann steht er in gleicher Weise über allen
Häusern der Gegend, nicht über einem bestimmten. Im Zenit konnte er allerdings
bei der Ankunft aus demselben Grund nicht stehen, wie er auch nicht im Süden
stehen konnte. Bis dann wäre es nämlich Tag, und der
Stern folglich unsichtbar gewesen. Diese Textstelle kann eben nur so
interpretiert werden, daß der Stern bei der Ankunft der Magier an dem Ort, wo
das Kindlein war, seine Station machte.
"große Freude": Aus
dieser Feststellung läßt sich vielleicht ablesen, daß der Stern sehr schön und
hell war. Unter den Planeten erfüllen Jupiter und Venus, vor allem letztere,
diese Bedingung. Wer wurde vom Anblick des hellen Abend- oder Morgensterns
nicht schon freudig berührt?
Aus all diesen Feststellungen läßt sich
das Gestirn im Grunde bereits eindeutig identifizieren. Es kann sich nur um Venus
handeln, weil (abgesehen vom schwer zu beobachtenden Merkur) nur Venus bei
ihrer Ersterscheinung am Osthorizont rückläufig ist und kurz darauf, nämlich
etwa zwei Wochen später, stationär wird. Jesus wird ja in einer vorübergehenden
Notunterkunft geboren, während der Stern im Osten erstmals sichtbar wird. Kurz
darauf treffen die Magier ein, und schon kurze Zeit später brechen Joseph und
Maria mit dem Kind nach Ägypten auf. Die Differenz zwischen heliakischem
Erstaufgang und Station beträgt für Venus etwa zwei Wochen, für Jupiter
hingegen vier Monate!
Eine
Jupiter-Saturn-Konjunktion?
Betrachten wir dennoch kurz eine andere
Theorie, die heute von vielen als plausibel erachtet wird, aber dem Text von
Matthäus in mehreren Hinsichten widerspricht. Johannes Kepler hat zum ersten
Mal vorgeschlagen, daß es sich um eine dreifache Konjunktion von Jupiter und
Saturn in den Fischen gehandelt habe. Tatsächlich ist dies ein äußerst seltenes
Ereignis, und besonders schön an dieser Erklärung wäre die Tatsache, daß es
auch astrologisch zur Geburt eines "Königs der Juden" passen würde.
Jupiter hat mit Königtum und Führerschaft zu tun, und Saturn, der
Gesetzesplanet, läßt sich sehr gut mit dem jüdischen Volk assoziieren. (vgl.
Amos 5,26, s. Elberfelderbibel, Anmerkung;
Apostelgeschichte 7,43. Es wird der babylonische Planetenname Kijun = Kaiwan = Rhaiphan = Saturn verwendet.) Die Konjunktion fand in der
Mitte des Fischezeichens statt. Astrogeographisch lag
Palästina etwa in der Mitte des dem Fischezeichen
zugeordneten geographischen Gebietes, das von Unterägypten bis nach
Mesopotamien reichte. Zumindest in der heutigen Astrologie haben die Fische mit
Religion zu tun. Jupiter in den Fischen mochte von daher u.a. auch Symbol für
einen religiösen Führer sein.
Doch kann es sich wirklich um eine Konjunktion
handeln, wenn bei Matthäus doch nur von einem Stern die Rede ist?
Standen die beiden Planeten so nahe beieinander, daß sie zu einem einzigen
Licht verschmolzen? Keineswegs! Jupiter überholte den Saturn seitlich. Auch
zu den "exakten" Konjunktionszeiten von
Jupiter und Saturn nach ekliptikaler Länge (d.h.
gemessen auf dem Tierkreis) standen die beiden Himmelskörper in ekliptikaler Breite ein gutes Grad von einander entfernt.
Ein Abstand von einem Grad entspricht aber zwei ganzen Vollmonddurchmessern.
Folglich waren sie keineswegs als ein Körper sichtbar, auch nicht für
stark Kurzsichtige, sondern erschienen als zwei ziemlich weit voneinander
entfernte Lichtpunkte. Man müßte also schon annehmen, daß der Sachverhalt in
der mündlichen Tradition vor der schriftlichen Fixierung extrem vereinfacht
oder verfälscht wurde. Eine Konjunktion könnte im Laufe der Jahre vielleicht
schon als das Verschmelzen zweier Planeten zu einem einzigen Gestirn
mißverstanden worden sein. Aber auf jeden Fall besteht eine deutliche
Diskrepanz zwischen dieser Theorie und den textlichen Evidenzen. Die exakten Konjunktionsdaten wären der 29. Mai, der 1. Oktober und der
5. Dezember 7 v.u.Z.[1]
Auch die Rede vom "Erscheinen"
des Sterns paßt nicht zur Art und Weise, wie eine Planetenkonjunktion sich
entwickelt. Außerdem war die Konstellation bei ihrem ersten Exaktwerden
am 29. Mai kein ausgeprägtes Phänomen des Morgen- und Osthimmels mehr. Das
"Erscheinen" kann auch keinen heliakischen Erstaufgang der
Konjunktion meinen. Denn als die beiden Planeten im Osten erschienen, waren sie
von einer Konjunktion noch weit entfernt. Saturn wurde erst mehrere Wochen nach
Jupiter sichtbar.
Kommen andere Konjunktionen in Betracht,
bei denen die beteiligten Planeten zu einer Einheit verschmolzen? Auch eine
Venus-Jupiter-Konjunktion, wie sie im Februar 7 v.u.Z. stattfand, wäre wohl ein
schöner Anblick gewesen, aber auch hier waren die beiden Planeten zu weit
voneinander entfernt, um als ein einziger Stern gesehen zu werden, nämlich rund
20´, also 2/3 der Sonnen- oder Mondscheibe. Die Venus-Saturn-Konjunktion
desselben Jahres war ebenfalls nicht präzis genug. Im Jahre 2 v.Chr. nun kamen
sich Venus und Jupiter so nahe (35" nach der neuesten Nasa-Ephemeride),
daß sie fürs bloße Auge zu einem einzigen Stern verschmolzen. Doch bewegt sich
die Venus so schnell, daß diese Planetenverschmelzung sehr kurzlebig gewesen
ist. Sie dauerte nur ein paar Stunden und konnte unmöglich mehrere Tage
nacheinander von den Magiern beobachtet werden. Außerdem war Venus in all
diesen Fällen Abendstern, war also nicht morgens im Osten, sondern nur abends
im Westen sichtbar.
Venus
Eine sorgfältige Analyse des
Matthäusberichts weist also sehr deutlich auf einen heliakischen Venusaufgang
hin. Und wir werden sogleich sehen, daß diese Vermutung durch eine ganze Reihe
von anderen Bibelstellen gestützt wird, die Jesus ausdrücklich mit dem
Morgenstern in Verbindung bringen.
Der Erstaufgang der Venus war auch
astrologisch keineswegs bedeutungslos, sondern fand bei den alten Völkern stets
große Aufmerksamkeit. Es ist ein ziemlich spektakulärer Vorgang: Kein anderer
Himmelskörper - außer dem unauffälligen Merkur - erklimmt den Himmel so rasch
wie die Venus als Morgenstern. Das liegt natürlich an ihrer Rückläufigkeit.
Ihre Helligkeit steigert den Effekt noch. Wer diesen Vorgang schon beobachtet
hat und Freude am Himmel hat, weiß, wie spektakulär er ist. Muß also ein Kind,
das zur Zeit der Ersterscheinung der Venus geboren wird, nicht auch eine
bedeutende Persönlichkeit sein? Es heißt bei Matthäus auch, daß die Magier beim
Anblick des Sternes große Freude empfanden - und welcher Planet ist schöner und
vermag das Herz eines Himmelsbetrachters mehr zu erfreuen als die Venus? Im
Jakobusevangelium lesen wir, daß der Stern so hell war, daß er alle anderen
verblassen ließ. Venus ist dazu durchaus in der Lage. Wenn der Mond nicht
scheint und keine anderen Lichter stören, wirft sie sogar Schatten. Weiter
müssen wir bedenken, daß die Hauptbotschaft von Jesus die Liebe war, und Venus
war schon damals der Planet der Harmonie und Liebe – mag die Gleichsetzung
christlicher Liebe und venerischer Liebe auch diskutabel sein. Die
astrologische Venus hat allerdings ein weiteres Bedeutungsfeld als die antike
Göttin.
Doch gibt die Bibel noch deutlichere
Hinweise, die für Venus sprechen. Im Alten Testament wird der Messias nach
Ansicht der Theologen mit folgenden Worten angekündigt: "es tritt hervor
ein Stern aus Jakob". (4. Mose 24,17). Die Legende vom Weihnachtsstern
("wir haben seinen Stern im Aufgang gesehen") nimmt
offensichtlich hierauf Bezug. Der Name dieses "seines" Sterns wird
nun ausdrücklich am Ende der Johannesoffenbarung genannt: "Ich, Jesus,
... bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern (astêr prôinos)"
(Off. 22,16). Der übliche Name für Venus als Morgenstern war zur damaligen Zeit
nicht Venus, sondern prôinos, der
"morgendliche", oder phôsphoros,
lateinisch lucifer, deutsch: "Bringer des
Lichts". Die Anwendung dieses Namens auf den Teufel stammt erst aus
der Zeit der Kirchenväter und tut seiner ursprünglichen Bedeutung Unrecht. Er
bezeichnet nämlich die Venus als Anzeigerin des
kommenden Tages. Das wird noch deutlicher bei einem anderen Venusnamen: sie
hieß auch eôsphoros, "Bringer der
Morgenröte". In dieser Funktion hatte der Planet in der Antike weit
größere Bedeutung als heute, zumal in südlichen Gebieten, wo die Dämmerung nur
sehr kurz dauert.[2]
Eine weitere Stelle, wo Jesus mit dem
Morgenstern in Verbindung gebracht wird, ist 2. Petrus 1,19: "Und so
besitzen wir das prophetische Wort befestigt, auf welches zu achten ihr wohl
tut, als auf eine Lampe, welche an einem dunklen Orte leuchtet, bis der Tag
anbreche und der Morgenstern (phôsphoros,
in der lateinischen Bibel: lucifer!) aufgehe
in euren Herzen." Der erscheinende Morgenstern symbolisiert hier also das
Erscheinen des "Tages", des Lichtes, der Erkenntnis.[3]
Aus astrologischer Sicht scheint diese Symbolik zunächst nicht gut zur Venus
passen, es sei denn, man schreibe der spirituellen Liebe Lichtcharakter zu.
Die Petrusstelle erinnert übrigens
verblüffend stark an die theologisch hochbedeutsame Stelle Joh. 1,9. Dort wird
der Messias wie folgt beschrieben: "Das Licht scheint in der Finsternis
... Es war das wahre Licht, das, in die Welt kommend, jeden Menschen
erleuchtet". Also auch hier wird der Messias vermutlich mit dem
Morgenstern verglichen!
Aber ist die Venus nicht zu sehr ein
weiblicher Planet, um mit dem Messias identifiziert zu werden? Sie ist es
nicht. Die erwähnten griechischen Namen für Venus, die in der Bibel gebraucht
werden, sind allesamt männlich, und ebenso der im alten Testament zu findende
hebräische Name bän-schachar,
"Sohn des Morgenrots" (Jes. 14,12). Die Geschlechterzuordnung zu den
Planeten war also in der Antike nicht so eindeutig. Nach Ptolemäus hat Venus
als Morgenstern männliche Qualität, als Abenstern
weibliche Qualität. Zudem ist die Geschlechterzuordnung auch kulturbedingt. Das
zeigt z.B. die Tatsache, daß im Deutschen und Arabischen die Sonne weiblich und
der Mond männlich ist. In Wahrheit kämen wir den astrologischen
Planetenprinzipien vielleicht näher, wenn wir davon ausgingen, daß sie alle
androgyn sind.
Nach dem Untergang von Venus als
Abendstern im Westen, der Gegend des Todes, ist ihr spektakuläres
Wiedererscheinen als Morgenstern vielleicht auch ein Symbol für das
große Thema einer ganzen Reihe von Mysterienreligionen
der damaligen Zeit, und so auch des Christentums: für die Auferstehung von den
Toten. Denn Westen wurde als Untergangsrichtung aller Gestirne stets mit dem
Tod in Verbindung gebracht, Osten dagegen, als Aufgangsgebiet, mit Geburt bzw.
Wiedergeburt. Denken wir z.B. an die Tag- und Nachtfahrt des ägyptischen
Sonnengottes: im Westen steigt er in die Unterwelt hinab, im Osten wird er neu
geboren.
Bleibt die Frage, weshalb Matthäus sich
bezüglich der Identität des Himmelskörpers nicht präziser ausdrückt, weshalb er
also Venus, wenn sie es war, nicht beim Namen nennt. Folgende Möglichkeiten
kommen in Betracht:
1. Auf den
Namen "Venus" wurde vielleicht verzichtet, weil Planeten heidnische
Götter assoziierten. Im Alten Testament finden sich einige Stellen, welche die
Astrologie als religiöse Verehrung von Gestirnen (Astrolatrie)
interpretieren und deswegen radikal verwerfen. Die Bibelstellen, wo Planeten
beim Namen genannt werden, lassen sich an einer Hand abzählen. Dazu gehören die
weiter oben angegebenen Stellen in Amos und Apostelgeschichte, wo der
Gesetzesplanet Saturn als Planet der Juden erscheint. Die Scheu vor
Planetennamen geht offenbar so weit, daß sogar die deutschen Übersetzungen es
hier weitgehend vermeiden, Saturn beim Namen zu nennen. Einen Hinweis gibt
allein (?) die Elberfelderbibel in einer Fußnote zur Amosstelle.
2. Die
Erscheinung des Bethlehemsterns bezieht sich also auf
die alttestamentliche Messiasprophezeiung: "es
tritt hervor ein Stern aus Jakob". (4. Mose 24,17) Da auch hier kein Planetenname
genannt wird, können wir vermuten, daß der Autor die gleiche allgemeine
Redeweise vorzog, um diesen Bezug deutlicher zu machen. Außerdem mag die für
die damaligen Mysterienreligionen typische
Geheimniskrämerei mit eine Rolle spielen. Man wußte, daß es sich um die Venus
handelt, aber man sprach es nicht aus. Eine Wahrheit, die man nicht ausspricht,
sondern nur andeutet, ist bekanntlich mächtiger.
Das
Geburtsdatum Jesu
Nun finden Frühaufgänge der Venus
durchschnittlich alle 584 Tage statt. Als nächstes stellt sich daher die Frage
nach dem Geburtsjahr. Hier hilft uns glücklicherweise die Johannesoffenbarung
weiter. In einer Vision sieht Johannes folgendes Bild:
"Und ein großes Zeichen erschien in dem Himmel. Ein Weib,
bekleidet mit der Sonne, und der Mond [war] unter ihren Füßen, und auf ihrem
Haupte eine Krone von zwölf Sternen. Und sie ist schwanger und schreit in
Geburtswehen und in Schmerzen zu gebären..." (Off. 12,1ff.)[4]
Diese Verse sollen eine Vision der Geburt
des Messias sein. Wenn das "Weib" das Sternbild Jungfrau ist und die
Sonne es "bekleidet", so wird dies heißen, daß die Sonne in der
Jungfrau steht, sie folglich überstrahlt und unsichtbar macht. Der Mond steht
"unter ihren Füßen", also kurz vor dem Sternbild Waage. Das Kind, das
sie gebiert, müßte der Morgenstern sein. Damit fällt das von der
Jupiter-Saturn-Theorie favorisierte Jahr 7 v.u.Z. außer Betracht, weil hier
beim Frühaufgang der Venus die Sonne im Skorpion stand. Es gibt nur ein Datum,
auf das diese Beschreibung paßt: es ist der 1. September 2 v.u.Z (= astronomisch -1).[5]
Damit ist übrigens auch klar, was von der Jungfraugeburt zu halten ist: Jesus ist schlicht und
einfach Sternzeichen Jungfrau. Interessantes Detail: Venus geht nicht aus dem
Schoß der Jungfrau hervor, sondern aus ihrem Kopf. Es handelt sich insofern um
eine "unbefleckte" Geburt. (Man erinnert sich an die Geburt der
jungfräulichen Göttin Athene aus dem Kopf des Zeus.)
Himmelskonstellation am Vormittag des 1. September 2 v. u. Z.: Die
Jungfrau ist "bekleidet mit der Sonne", der Mond steht zu ihren
Füßen. Den Morgenstern hat sie aus ihrem Kopf geboren – eine unbefleckte
Geburt!
Zu dieser Interpretation paßt auch die
Fortsetzung des Bibeltexts:
"Und es erschien ein anderes Zeichen in dem Himmel: und
siehe, ein großer, feuerroter Drache, welcher sieben Köpfe und zehn Hörner
hatte, und auf seinen Köpfen sieben Diademe; und sein Schwanz zieht den dritten
Teil der Sterne des Himmels [mit sich] fort; und er warf sie (: die Sterne) zur
Erde. Und der Drache stand vor dem Weibe, das im Begriff war zu gebären, auf
daß er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind verschlänge. Und sie gebar einen
männlichen Sohn, der alle Nationen weiden soll mit eiserner Rute; und ihr Kind
wurde entrückt zu Gott und zu seinem Throne."
Die Beschreibung des Drachens scheint auf
das Sternbild Hydra zu passen. Die sieben diadembesetzten
Köpfe dürften Sterne im Kopfbereich, die zehn Hörner helle Sterne entlang
seines Körpers sein, die eine Art Zickzackmuster erzeugen. Eine genaue
Identifikation ist zwar schwierig, aber die Zahl 10 könnte auch symbolisch
gemeint sein. Ebenso umfaßt der Schwanz der Hydra nicht wirklich den
"dritten Teil" der Sterne des Himmels, doch ist sie in der Tat ein
extrem langes Gebilde, das viele Sterne umfaßt. Wenn die Jungfrau auf dem
Osthorizont steht, so "wirft" die Hydra tatsächlich ihre
Schwanzsterne "auf die Erde" (s. Zeichnung). Der "männliche
Sohn" ist also Venus, phôsphoros, bän-schachar, der "Sohn des
Morgenrots". In der Tat näherte sich der Morgenstern in den Tagen nach
seiner Geburt zunächst den Fängen der Hydra, geriet also in Gefahr,
"gefressen" zu werden, entfernte sich aber nach dem Stillstand wieder
von ihr und wurde "entrückt".
Die Offenbarung fährt weiter:
"Und das Weib floh in die Wüste, woselbst sie eine von Gott
bereitete Stätte hat, auf daß man sie daselbst ernähre tausend
zweihundertsechzig Tage. Und es entstand ein Kampf in dem Himmel: Michael und
seine Engel kämpften mit dem Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel;
und sie siegten nicht ob, auch wurde ihre Stätte nicht mehr in dem Himmel
gefunden. Und es wurde geworfen der große Drache, die alte Schlange, welcher
Teufel und Satan genannt wird, der den ganzen Erdkreis verführt, geworfen wurde
er auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm hinabgeworfen."
Die Flucht der Frau vor dem Drachen in die
Wüste mag die Tagesbewegung der beiden Zeichen symbolisieren. Die Jungfrau
macht einen größeren Bogen als die Hydra, weshalb sie dieser
"auszuweichen" scheint. Der Weg führt nach Westen, in die Wüste.
Vielleicht ist damit also die Flucht nach Ägypten angedeutet. Die Hydra stürzt
schließlich mit dem Kopf voraus zur Erde. Im weiteren Verlauf der Vision, den
ich hier nicht mehr zitieren möchte, erhält die Jungfrau Flügel, um noch etwas
weiter nach Westen an ihnen Zufluchtsort zu fliehen, während die Hydra bereits
unter den Horizont sinkt. Die Hydra, wie es sich für einen Wasserdrachen
geziemt, speit ihr Wasser nach. Das Wasser wird jedoch von der Erde verschluckt
und erreicht die Jungfrau nicht. Dieser Vorgang wird vermutlich durch den Rest
des noch über die Erde ragenden Drachenschwanzes dargestellt. Man mag ihn mit
einem Wasserstrahl vergleichen. Die Erde verschluckt ihn jedoch schnell.
Damit steht das Datum der Geburt Jesu
fest. Die Uhrzeit ergibt sich aus dem Matthäustext, dem zufolge gerade die
Venus erstmals am Morgen sichtbar ist wird: Es handelt sich um den
1. September 2 v.u.Z. (astronomisch -1),
4.30 Uhr morgens.
Somit kann das Horoskop berechnet werden:
Überzeugt es auch astrologisch, und zwar
nach den Regeln der antiken Astrologie? Ich denke schon, möchte aber darauf
natürlich nicht zuviel Gewicht legen, nachdem schon eine große Anzahl falscher
Horoskope "erfolgreich" interpretiert worden sind. Der Löweaszendent
paßt sicher zu einem König der Juden. Venus, Jupiter und Mars in Konjunktion am
Löwe-Aszendenten zeigen einen charismatischen Führer, einen leidenschaftlichen
Lehrer der Liebe an. Saturn im Quadrat zu Sonne und Merkur symbolisiert die
Reibereien Jesu mit dem rechtgläubigen Judentum.
Eine ausführliche Behandlung des Themas
finden Sie in dem Buch „Der Stern von Bethlehem“ von Dieter Koch
Literatur:
Konradin
Ferrari d´Occhieppo, Der Stern von Bethlehem - aus
der Sicht der Astronomie beschrieben und erklärt, 1991, Franckh-Kosmos-Verlag,
Stuttgart. (Jupiter-Saturn-Konjunktion. Interessante Informationen über
babylonische Astrologie/Astronomie.)
David Hughes, The
Star of Bethlehem. An Astronomer´s Confirmation, 1979, Walker and
Company, New York. (Jupiter-Saturn-Konjunktion. Diskussion aller möglichen
anderen Theorien. Ausführliche Analyse der historischen Angaben der Bibel.)
Gerhard Voss, Astrologie christlich, 1980, F. Pustet,
Regensburg. (Jupiter-Saturn-Konjunktion.)
Werner Papke, Das
Zeichen des Messias, 1995, Verlag CLV, Bielefeld. (Nova in einem älteren,
babylonischen Jungfrauzeichen, heute "Haar der
Berenice".)
[1] Daß eine Variante des apokryphen Jakobusevangeliums von "Sternen" im Plural spricht, hilft hier nichts, denn sie geht eindeutig auf einen Abschreibefehler zurück.
[2] Das "Bringen des Tageslichts" paßt ja wohl ganz und gar nicht zum Widersacherengel. Das Licht der Sonne war immer ein Symbol für die Wahrheit und für Gott, und der Teufel gilt als lichtscheu.
[3] Die dritte Stelle im neuen Testament, die den Morgenstern mit Jesus in Verbindung bringt, ist allerdings alttestamentarisch-düster: Off. 2,28.
[4] Zitiert aus der Elberfelder Übersetzung.
[5] Ähnliche Konstellationen gibt es nur Anfang September 10 v.u.Z. und 7 u.Z., doch kommen diese Daten aus historischen Gründen nicht in Betracht.